Sind Naked Bikes noch immer „in“? Wenn man sich die Street-Baureihe von KTM so ansieht, besteht daran kein Zweifel. Schließlich kommen in diesem Jahr mit der KTM 1290 SUPER DUKE R und der KTM 890 DUKE R mindestens zwei unverkleidete Modelle hinzu. Wir haben uns mit einigen Verantwortlichen der Orangen und Ex-Rennfahrern wie Jeremy McWilliams und Chris Fillmore unterhalten und sie gefragt, ob dieses Segment am Anfang eines neuen Jahrzehnts immer noch genauso gefragt ist …
Wir nennen diese Bikes ‚naked‘, obwohl sie eigentlich die Quintessenz eines Motorrads darstellen. So sahen alle Bikes aus, bis die 1980er die ersten Sportmotorräder und Superbikes hervorbrachten. Die Tatsache, dass alle großen Hersteller ihre eigene Interpretation von ‚naked‘ zum Kauf anbieten, deutet darauf hin, dass Fahrer die Vielseitigkeit dieser Motorräder auf verstopften und überwachten Straßen noch immer schätzen.
Für KTM ist das Konzept des ‚Naked Bike‘ immer noch brandaktuell. Auf der KTM-Webseite können Interessierte aus Bikes der Kategorien Travel, Sports Tourer, Naked, Supermoto und Supersport wählen, doch die DUKE-Baureihe war im Jahr 2019 alleine für 100.000 verkaufte Einheiten (knapp 40 % des Gesamtabsatzes) verantwortlich. Mit ihrer Fahrbarkeit, Attraktivität für junge Fahrer und Verarbeitungsqualität war die KTM 125 DUKE der Bestseller im Segment.
2020 markiert das vierte Jahr von KTM in der MotoGP und mit vier Werksmotorrädern in der Startaufstellung stellt man sich auf eine Stufe mit Yamaha und Honda und überholt in Sachen Präsenz die Konkurrenten Suzuki und Aprilia. Mit Fokus auf Performance wirft die Marke im Jahr 2020 außerdem die neue KTM 1290 SUPER DUKE R ins Rennen. Ein überwältigendes Drehmoment und ein völlig neues Fahrwerk verleihen ihrem Spitznamen ‚THE BEAST‘ noch mehr Nachdruck und unterstreichen die Tatsache, dass dieses Bike keine Verkleidung besitzt, es aber bei Bedarf durchaus mit Sportmotorrädern aufnehmen kann.
PC @SebasRomero
„Es handelt sich hier auf jeden Fall um unser Spitzenmodell in der Street-Baureihe“, bestätigt Head of Product Management Adriaan Sinke. KTM baut auch weiterhin auf Naked Bikes. Nach einer 18 Monate dauernden Periode der Entwicklungen und Neuvorstellungen hat die KTM 1290 SUPER DUKE R nun neue Spielkameraden in Form der KTM 790 DUKE und der KTM 890 DUKE R.
Mit ihrem Euro-5-tauglichen Motor steht die KTM 1290 SUPER DUKE R an der Spitze dieses Triumvirats, was Leistung, kultiviertes Handling (mit ihrem überlegenen Fahrwerks-Rahmen-Konzept) und Elektronik (Motorrad-Traktionskontrolle, MSR, mehrere ABS-Funktionen und 6D-Schräglagensensor) betrifft. So muss sie den Vergleich mit der Konkurrenz im Jahr 2020 nicht scheuen. Und genau hier findet sich ein Widerspruch: Wie schafft es KTM, ein unverfälschtes Motorrad zu bauen, das in Sachen Fahrerfahrung, Komfort und Nervenkitzel bietet, was die Kunden wollen, und es technisch gleichzeitig immer weiter zu verfeinern?
„Das ist in der Tat schwierig“, gesteht Sinke. „Der Markt verlangt nach mehr Technik. Selbst die treuesten Naked-Bike-Liebhaber können diese Bikes nicht mehr ohne elektronische Kraftstoffeinspritzung oder Drosselklappensteuerung fahren … Traktionskontrolle wird immer mehr zum Standard und ist auf dem Weg, zum Must-Have für das tägliche Fahren zu werden. Es ist möglich, aber nicht im Alltag. Bei diesem Modell wollten wir erreichen, dem Fahrer ein stärkeres Gefühl der Kontrolle über das Bike zu geben. Wir hatten immer schon eine gute Traktionskontrolle, wir wollten dem Fahrer aber ein noch besseres Gespür dafür geben, wie die Power abgegeben wird, ob das Bike driftet und wie es ihm zu noch brutalerem Vortrieb verhilft. Die Fahrer sollten das Gefühl haben, die totale Kontrolle über das Fahrverhalten zu haben. Wir wollten verhindern, dass gute Fahrer die Traktionskontrolle ausschalten, und stattdessen herausfinden, wie sie die Traktionskontrolle zu ihrem Vorteil nutzen können.“
PC @SebasRomero
Um ihnen zu ermöglichen, alles zu den Extremen und den Vorteilen der KTM 1290 SUPER DUKE R herauszufinden, lud KTM Journalisten und Tester ein, beim offiziellen Launch auf der technisch schwierigen Strecke von Portimão in Südportugal „die Sau ‘rauszulassen“. Auf dieser WorldSBK-Strecke Vollgas zu geben, erlaubte dem LC8-Motor, seine 180 PS und 140 Nm Drehmoment voll zu entfalten, während das überarbeitete Handling in den Kehren und Senken zur Geltung kam. Die Teilnehmer konnten außerdem alle Optionen der neunstufigen Traktionskontrolle und des neuen Track-Fahrmodus testen – Innovationen, bei deren Entwicklung Ex-MotoGP-Fahrer Jeremy McWilliams mitgearbeitet hat.
Der Ire spielt seit dem ersten ‚BEAST‘ des Jahres 2013 eine tragende Rolle bei der Weiterentwicklung der KTM 1290 SUPER DUKE R. Seine Testarbeit auf der Rennstrecke ermöglicht dem F&E-Team von KTM, die Grenzen des Motorrads auszuloten und ein stabiles, sicheres und dennoch aufregendes Paket für die Straße zu schnüren. „Ich glaube, dass wir Fahrer Naked Bikes so schätzen, weil sie uns etwas mehr Kontrolle geben“, so McWilliams. „Wir sitzen aufrecht, haben mehr Hebelwirkung zur Verfügung und einen breiteren Lenker. Kein anderes Bike auf dem Markt hat mehr Drehmoment. Und Drehmoment ist eine gute Sache: Je mehr Bumms, desto aufregender die Fahrerfahrung. Bei diesem Bike spielt es eigentlich keine Rolle, welchen Gang du am Kurvenausgang eingelegt hast. Hier in Portimão schalten wir nie in den 2. Gang herunter. Wir brauchen ihn einfach nicht. Im 3. ist so viel Drehmoment vorhanden, dass du bei jeder Geschwindigkeit genug Speed aus der Kurve mitnehmen kannst. Auf diesem Bike wird jeder zu einem Rowdy, du kannst es aber auch so langsam fahren, wie du willst. Dank der elektronischen Settings ist es extrem vielseitig, extrem anpassungsfähig.“
PC @MarcoCampelli
McWilliams kämpft auf der Strecke mit Alex Hoffmann, einem weiteren Ex-GP-Fahrer sowie dem Amerikaner Chris Fillmore, der die RC8 in der AMA-Superbike-Meisterschaft fuhr, um die besten Rundenzeiten. „Bei der Entscheidung, sich ein Naked Bike zu kaufen, geht es um deine Ziele als Motorradfahrer“, so Fillmore. „Wenn du nicht andauernd auf der Strecke fahren möchtest, ist ein Naked Bike auf der Straße 10 Mal so bequem wie ein Sportmotorrad. Trotzdem funktionieren sie auch auf der Rennstrecke extrem gut: Mit der alten SUPER DUKE war ich nur 2-3 Sekunden langsamer als mit meiner RC8. Und dank ihres steiferen Rahmens ist diese Version noch besser. Sie ist wie ein komfortables Superbike: Sie bietet all die Technik und die Performance, ihr Getriebe ist aber mehr auf Straßenkomfort abgestimmt und dennoch bist du auf der Strecken nur marginal langsamer als die Superbikes.“
PC @MarcoCampelli
Die Vorstellung, eine KTM 1290 SUPER DUKE R auf der Strecke zu bewegen, mag etwas merkwürdig klingen – besonders, wenn man sich den Trend zu immer schnelleren und teureren Rennstrecken-Motorrädern in den letzten 5 Jahren vor Augen führt. Dennoch enttäuscht die KTM 1290 SUPER DUKE R nicht und kann so aggressiv oder lammfromm eingestellt werden, wie es der Fahrer möchte. „Ein guter Fahrer kann auf der SUPER DUKE R sehr schnell sein“, verspricht Sinke. „Zusammen bieten das Fahrwerk, das Drehmoment und die Bremsen ein herausragendes Paket. Wir hoffen, dass wir ein paar Streckenfahrer davon überzeugen können, sich eine zu holen. Da bin ich mir eigentlich ganz sicher. Natürlich ist die SUPER DUKE R auf der Straße zuhause, aber wenn du einmal auf der Rennstrecke fahren willst, musst du dir dazu kein zweites Bike kaufen.“
Für einen V2 bietet die neue KTM 1290 SUPER DUKE R Zahlen, die einem den Mund wässrig machen. Für Fahrer, die gerne mal das Knie schleifen lassen oder sich auf der Rennstrecke mit anderen messen wollen, ist das ideal. Sind diese Zahlen im Jahr 2020 aber auch für normale Kunden noch relevant? Fillmore ist sich sicher. „Viele Fahrer wollen immer noch das PS-stärkste Bike am Markt. Das ist eine Ego-Sache“, sagt er lächelnd. „Mein Vater fährt auch Motorrad und natürlich kaufte er das schnellste, größte, neueste und beste. Meiner Meinung nach sollten Fahrer in sich gehen und vielleicht sogar einen Blick auf die Mittelklasse werfen – die KTM 790 DUKE ist zum Beispiel ein Motorrad, das für jeden Fahrer perfekt geeignet ist. Vom Fahrspaß her steht ein solches Bike einem Sportmotorrad in nichts nach. Die KTM 1290 SUPER DUKE R ist großartig – es hat jede Menge Power und Drehmoment, ist aber dank der Elektronik trotzdem ganz einfach zu fahren. Ich glaube, dass vielen Fahrern die PS-Zahlen zu wichtig sind. Auf der Straße gibt es sowieso immer eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Ihr Drehmoment macht die SUPER DUKE R zu einem der besten Straßenmotorräder. Bei 3000 U/min spürst du bereits ihre volle Wucht. Auf der Straße kannst du die vollen PS niemals nutzen, das Drehmoment aber gibt dir augenblicklich diesen Nervenkitzel, den du willst. Im Vergleich dazu musst du einen 4-Zylinder hochdrehen, bis er kreischt, und kommst erst nach 100 km/h in den Bereich, wo der Motor richtig Power macht. Die SUPER DUKE R bietet bereits im Drehzahlkeller einen mächtigen Bumms.“
„Ich denke, dass viele Fahrer, die mittlerweile erwachsen sind und gut Geld verdient haben, im Herzen noch ‚wild‘ sind und sich so ein Bike zulegen werden“, so Sinke. „Der Spaßfaktor, ein so überwältigend leistungsstarkes Bike zu bewegen, ist immer noch da und es wird eine Weile dauern, bis er nachlässt. In fünfzehn Jahren fahren wir vielleicht elektrische Superbikes, aber die Faszination von Power und Geschwindigkeit wird es immer geben. Ein solches Bike definiert sich darüber, etwas frech und böse, stark und spielfreudig zugleich zu sein.“
In diesem Sinne sieht sich KTM fast verpflichtet, etwas so Radikales und Extremes zu bauen wie die KTM 1290 SUPER DUKE R. „Ja, wahrscheinlich“, gesteht Sinke. „Genauso wie unsere Marke ist dieses Bike in jeder Hinsicht ‚in-your-face‘. Dieses Bike zu fahren und aus Kurven zu schießen, macht einfach süchtig. Braucht man dieses Bike? Natürlich nicht. Eine KTM 790 DUKE hat mehr als genug Power für deine liebsten Bergstraßen … trotzdem macht es enorm viel Spaß, mit der Gashand so viel Power und Drehmoment zu kontrollieren.“
Ein Naked Bike hält sich nicht bedeckt und bei der KTM 1290 SUPER DUKE R mit ihrem kantigen und zweckmäßigen Design ist das erst recht der Fall. Tatsächlich aber ruft der Fahrer mit einem Dreh am Gasgriff jahrzehntelange Erfahrungen ab. Dieses Geheimnis und dieser Entdeckungsgeist treiben KTM auf der Suche nach dem ‚ultimativen‘ Naked Bike an. Mit der KTM 1290 SUPER DUKE R des Baujahres 2020 hat das Unternehmen den Nagel auf den Kopf getroffen: Mit mehr als einer Prise MotoGP in den Genen kommen ihre Errungenschaften auch den anderen Modellen in der DUKE-Familie zugute. „Naked Bikes sind der Inbegriff des Motorradfahrens“, fasst Sinke zusammen. „Wir verkaufen ungeheure Mengen an den hubraumschwächeren DUKEs, also gibt es auf jeden Fall einen großen Markt für diese Bikes. Man braucht keine ausladenden Verkleidungen und anderen Firlefanz auf einem Motorrad. Dieser Markt ist wichtig für uns und wir werden ihn sicher weiter bedienen.“
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